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Müssen wir unsere Kinderbücher umschreiben?

Die Welt als Computer.

In einem Beitrag zum Thema Künstliche Intelligenz vom 29.06.2023 meinen die Redakteure des Nachrichten- und Audio-Portals “Pioneer”, dass unsere Kinderbücher  aus der Zeit gefallen sind. Der Forscher forsche nicht mehr, der Arbeiter arbeite nicht mehr und der Bäcker backe nicht mehr. Stattdessen werde unser Leben zunehmend geprägt von einer weltumspannenden Maschinerie der Datenverarbeitung. Die wohl bewusst überspitzte Sichtweise erzeugt in mir eine Mischung aus Unsicherheit und spannender Zukunftserwartungen. 

Beide sind mehr emotional als rational, beide stehen stellvertretend für die Risiken und Chancen, welche die Informations-Technologie (IT) uns bietet. Mit einer solchen Reaktion bin ich wohl nicht ganz alleine. In Gesprächen mit Freunden und Bekannten ist mir aufgefallen, dass “gefühlte Wahrheiten” das Bild der großen Veränderungen, welchen wir uns durch die IT gegenübersehen, mehr prägen als Sachkenntnis. Medial vermittelt überwiegt dabei eher die Skepsis. Das ist keine gute Voraussetzung, um Chancen zu nutzen und dabei Risiken zu managen.

 

Warum dieser Blog?

Fundiertes Wissen auf allgemeinverständliche Weise zu verbreiten und gefühlte Wahrheiten über die IT durch Fakten zu ersetzen, ist eines der Ziele dieses Blogs. Er knüpft an mein Buch “Zeitenwende. Wie die IT unsere Welt verändert” an. Ein solches Buch müsste alle sechs Monate aktualisiert werden, was aus naheliegenden Gründen nicht passiert. Der vorliegende Blog übernimmt diese Aktualisierungen, er schreibt das Buch fort und ergänzt es kontinuierlich durch neue, aktuelle Themen von allgemeinem Interesse. Natürlich ist er so konzipiert, dass er auch alleine und für sich stehen kann und die Kenntnis des Buches nicht voraussetzt. Somit möchte ich ein breites Publikum dabei unterstützen, die durch die IT verursachten, gewaltigen Umbrüche, besser beurteilen zu können und ihre Chancen und Risiken besser zu verstehen. Mit anderen Worten: mehr Mündigkeit zu schaffen. Gerade für eine stabile und funktionsfähige Demokratie hat ein Grundverständnis der technologischen Entwicklung und ihrer Konsequenzen inzwischen große Relevanz.

Demokratisierung durch Technik

Bild von Pixelkult auf Pixabay

Seit die IT zum Massenprodukt wurde, hat sie wie kaum eine andere Technik zur Demokratisierung unserer Welt beigetragen. Mit der Verbreitung von Personal Computern und deren zunehmender Miniaturisierung, vom Desktop zum Laptop, vom Laptop zum Handy, vom Handy zur Smart Watch, ist IT mit Vehemenz in unseren beruflichen und privaten Alltag eingezogen. Computer sind nicht mehr das Privileg von Tüftlern oder einer wirtschaftlichen Elite, wie das noch bis in die frühen 1980er Jahre der Fall war. Die zunehmende, globale Penetration des Internets in der folgenden Dekade hat durch die Anbindung dieser Geräte einen neuen Weltcomputer geschaffen. Er ist für jedermann nahezu überall 24/7 verfügbar. In ihm fließen Informationen wie nie zuvor in der Geschichte. Das Internet ist zum Ärgernis der Diktatoren geworden, weshalb seine Kontrolle durch Zensur oder auch Shutdowns ganz oben auf ihrer To-do-Liste steht. Allein 2022 wurde das Netz kumuliert 187-mal in insgesamt 35 Ländern heruntergefahren. Im Schnitt also rund alle zwei Tage. Eine weitere Folge der globalen Verfügbarkeit von Informationen ist ein geschichtlich einmaliges Maß an Transparenz. Nie zuvor was es so einfach, den Wahrheitsgehalt von Informationen zu überprüfen, nie zuvor war die Reichweite von Meinung und Gegenmeinung so groß, nie gab es so viel Partizipation. Dass dabei auch leider  “Fake News” und Desinformation im Spiel sein können, ist der Preis, den wir dafür zahlen. Der alte Rechtssatz “abusus non tollit usum”, der Missbrauch hebt den richtigen Gebrauch nicht auf, gilt auch hier.

Mehr Gleichheit, mehr Freiheit

Bild von WikiImages auf Pixabay

Nicht nur IT-Startups werden noch einen anderen Aspekt zu schätzen wissen: Egalisierung. Wer bis in die 1990er Jahre hinein ein Unternehmen gründen wollte und auf eine leistungsfähige IT-Infrastruktur angewiesen war, musste kräftig in die eigene Datenverarbeitung investieren. Das hat sich mit Beginn des neuen Jahrtausends gründlich geändert. In diese Zeit fallen die ersten Cloud-Dienste, wie Amazon Web Services, Google App Engine und Microsoft Azure. Die Cloud und ihre, zu ständig fallenden Preisen anmietbaren Ressourcen, machen Unternehmensgründern – wie ich aus eigener Erfahrung weiß – das Leben sehr viel leichter. Im Verein mit der stets steigenden Bedeutung der IT für unternehmerischen Erfolg ist das mit einer der Gründe dafür, dass nicht mehr nur die Großen die Kleinen fressen, sondern zunehmend auch die Schnellen die Langsamen. Etabliert zu sein ist Dank eines gewissen Egalisierungseffektes der IT nicht mehr gleichbedeutend mit sicher zu sein. Manch kometenhafter Aufstieg eines Startups, manch disruptives Geschäftsmodell, wäre ohne diesen “Backbone” schwer denkbar.

IT ist trotz ihres hohen Innovationstempos ein Schleicher. Die von ihr verursachten Veränderungen breiten sich in kleinen Schritten in unserer Alltäglichkeit aus. Das macht es schwerer, ihre Tragweite gleich zu erkennen. Das Internet ist ein guter Beleg dafür. Es hat seit Beginn der 1990er Jahre schrittweise – selten spektakulär, zumeist still und leise – Einzug in unser Leben gehalten. Nach bescheidenen Anfängen ist es für Milliarden Menschen als ein zentrales Forum der Daseinsbewältigung nicht mehr wegzudenken. 

Trotz der überragenden Bedeutung des Internets für uns alle: Für die meisten von uns wird das Wissen um die erste Mondlandung 1969 Teil ihrer Allgemeinbildung sein. Sie ist – wie der erste Mann auf dem Mond es sagte – in der Tat ein großer Schritt für die Menschheit gewesen. 

Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

Der “Gründungsakt” des Internets 1958 in Form der amerikanischen Behörde DARPA hingegen ist für große Teile der Weltbevölkerung eine Unbekannte. Die Mondlandung hat und hatte keinen offensichtlichen Einfluss auf unser Alltagsleben, wieviel anders ist das aber in Bezug auf das Internet?

Zeit für ein Update: Allgemeinwissen 2.0

Das Beispiel “Internet” macht deutlich, dass unsere Wissensprioritäten ähnlich der Software, die wir nutzen, regelmäßige Updates benötigen. Bezogen auf die IT ist ein solches Update auf “Allgemeinwissen 2.0” mehr als überfällig. Ihre erhebliche Bedeutung und ihre Konsequenzen für die Welt, in der wir leben – und vor allem leben werden – macht das deutlich. Auch zum “Allgemeinwissen 2.0” möchte ich mit diesem Blog einen regelmäßigen Beitrag leisten. Neben den großen Themen, wie etwa die Digitalisierung und die systemischen Auseinandersetzungen um die Vorherrschaft auf dem Technologiefeld IT, soll dabei aber auch unser Verständnis der zahlreichen, scheinbar nur technischen Begriffe geschärft werden. Sie alle haben, weit über technisch-praktische Dinge hinaus, eine erhebliche Zukunftsrelevanz. Beispielhaft nenne ich Blockchains, die derzeit u.a. den Grundstein für ein neues, dezentrales Web 3.0 legen und Neuronale Netze, die uns ständig im Kontext der Künstlichen Intelligenz begegnen.

Zuckerberg ist nicht der Chefredakteur von Facebook

Meine Kinder schauen nur noch selten TV, stattdessen wird gesurft. Der Digital News Report 2023 der Nachrichtenagentur Reuters unterstreicht diesen Trend. Zudem findet eine Trivialisierung von Informationen statt, die noch über das hinausgeht, was wir auf “traditionellen” Plattformen wie Facebook bereits beobachten. Der Aufstieg von TikTok und anderen Videoformaten schafft für Influencer und Prominente mehr Aufmerksamkeit als für seriösen Journalismus. Die BBC hat kürzlich auf ihrer Webseite den YouTube Star DanTDM, bürgerlich Daniel Middleton, als einen der bedeutendsten Influencer der Gegenwartskultur bezeichnet. Mit 27,7 Millionen Followern rangiert er weltweit als Nummer 1 der Szene. Zum Vergleich: Kanzler Olaf Scholz, die Nummer 1 unter deutschen Politikern, bringt es auf YouTube weltweit auf 527.000 und auf Twitter auf 1,2 Millionen. Selbst die Führer bevölkerungsreicher Staaten, wie der USA, Indiens oder Chinas, bleiben auf YouTube weit unter der Zahl von Dan. In allen von Reuters untersuchten Märkten geben nur noch 22 % der Befragten an, dass sie ihre tägliche  Nachrichtenreise lieber mit einer Website, wie etwa von der Süddeutschen Zeitung oder einer App, wie die der Neuen Zürcher, beginnen. Das bedeutet einen Rückgang von 10 Prozent seit 2018. Stattdessen wird der nachrichtentechnische Quereinstieg über Soziale Medien oder Suchmaschinen bevorzugt. Mit anderen Worten: über Algorithmen, welche die Auswahl der Inhalte für uns treffen. Wer von traditionellen Medien wie dem Fernsehen oder der Zeitung Abschied nimmt, findet auf Facebook & Co. einen nur sehr vorsichtig zu konsumierenden Ersatz. Das primäre Ziel Sozialer Medien und vergleichbarer Formate ist es nicht, Wahres von Unwahrem zu trennen, kritisch-faktisch aufzuklären und Informationen redaktionell aufzubereiten. Das ist nicht einmal ihr sekundäres Ziel, eigentlich ist es gar keines. Die Algorithmen dienen dazu, Klickfrequenzen zu erhöhen und Geld mit Werbung zu verdienen. – Sie sind nicht da, um zu informieren. Fairerweise muss man hinzufügen, dass dies von den Anbietern weder behauptet noch beabsichtigt wird. 

Ihr Erfolg und die daraus resultierende, staatliche Regulierung, haben sie in eine Rolle gedrängt, die im Geschäftsmodell nicht vorgesehen war und für die sie nicht konzipiert wurden. Stattdessen ging und geht es ums Geldverdienen. Als Gegenleistung für die vielfältigen Möglichkeiten, welche die Plattformen uns bieten, bezahlen wir mit unseren Daten, mit denen wir sie freiwillig füttern. Das ist durchaus ein legitimes Geschäftsmodell und Teil einer informationellen und unternehmerischen Selbstbestimmung. Mit anderen Worten: von Freiheit. Die Nutzer selbst übernehmen die Rolle des Redakteurs, den Chefredakteur von Facebook gibt es nicht.

Was bleibt, ist der Effekt einer zweiten Sozialisation durch triviale Medien. Je jünger wir sind, desto stärker dürfte er sein. Diesen Effekt tragen wir mit uns bis ins Erwachsenenalter, d.h. in die Zeit, in der wir wählen dürfen. Der in 2023 verstorbene Henry Kissinger hat vor einiger Zeit in einem ZDF-Interview technische Kompetenz bei Politikern eingefordert. Das lässt sich auch verallgemeinern. Wir brauchen sie alle. Aus diesen Gründen beschäftigt sich dieser Blog auch mit politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Fragestellungen, soweit die IT betroffen ist. IT ist inzwischen sehr viel mehr als nur Technik, sie ist der “Enabler” und gleichzeitig Treiber eines gewaltigen Wandels. 

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Jürgen Müller

Ich habe Geschichte und Politik in Trier, Wien und Rom studiert. Nach der Promotion in Geschichte war der Weg in die IT geradezu vorgegeben, wie ich rückblickend ironisch feststellen muss. Die IT ist bunt… .

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