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Vom Kalten Krieg zum Tech Cold War

IT und der Kampf der Systeme

Die Verlagerung von systemischen Auseinandersetzungen in die IT spielt sich an vielen Fronten ab. Cyber War ist zwar eine besonders prominente, aber dennoch nur eine ihrer Erscheinungsformen. Hacking von staatlichen Institutionen und Unternehmen und Exportrestriktionen für sensible Technologien sind weitere Beispiele dafür. Das Verbot von Equipment des chinesischen Telekomausrüsters Huawei für den Einsatz in westlichen 5G-Netzen ist vielen sicher ebenfalls noch in Erinnerung. Huawei ist auch einer der bedeutsamen Player Chinas in der Halbleiterforschung. Besonders relevant ist der Kampf um die technologische Führung bei Computer Chips und deren Verfügbarkeit. Mit dem Vormarsch der Künstlichen Intelligenz ist dieses Thema umso zentraler geworden, da ihre effiziente Nutzung auch von den dafür optimierten Chiparchitekturen abhängt. Was im Kalten Krieg das Wettrennen in der Waffentechnik war, findet mehr und mehr seine Fortsetzung im Rennen um die Vorherrschaft in der Informationstechnologie. – Cold War mutiert zum Tech Cold War.

Chips gehören zu den fünf am meisten gehandelten Einzelprodukten der Welt. Ein einprägsames Beispiel dafür sind die 350 Mrd. US Dollar, die China laut South China Morning Post vom 12. Januar 2024 im Jahr 2023 für den Import von Halbleitern ausgegeben hat. Der Wert entspricht einem Volumen von 479,5 Milliarden Einheiten.

Ohne die Chips funktioniert keine moderne Wirtschaft und keine High-End Waffentechnik. Wer Großmacht sein will, darf hier nicht dem Risiko unterliegen, dass der Gegner technologisch die Nase vorn hat oder die Lieferketten unterbrechen kann. Unterbrochene Lieferketten für die kleinen Siliziumplättchen während der Covid-19 Pandemie haben selbst uns "Normalos" schmerzlich gezeigt, welche Rolle sie spielen. Vom Auto bis zum Küchengerät, von industriellen Produktionsstraßen bis hin zum lebensrettenden medizinischen Gerät, ein nie da gewesener, kollektiver Mangel war die Folge des fehlenden Nachschubs. Kein Wunder also, wenn Chips inzwischen ein zentraler Bestandteil der systemischen Auseinandersetzung zwischen den beiden Supermächten China und USA geworden sind. Wer die Chips besitzt, der besitzt globale Macht über seine Feinde, aber auch über seine Verbündeten. Nach einem Papier von Deutsche Bank Research vom Dezember 2023 haben sich daher wenig überraschend die Handelsrestriktionen für Tech-Produkte, vor allem aber für Halbleiter, von 2009 bis 2022 fast verzehnfacht.

Chip Herstellung
Quelle: SEMI https://www.semi.org

Reine Selbstversorger wird es auf diesem Gebiet zumindest für die technisch fortgeschrittensten Modelle auf absehbare Zeit dennoch kaum geben. Das macht die Sache für die beiden großen Rivalen, aber auch für kleinere Player wie die EU oder Russland, kompliziert. Zu diversifiziert ist gegenwärtig die internationale Arbeitsteilung und zu groß die gegenseitige Abhängigkeit in Bezug auf Know-how, Design und Herstellung. Zudem sind manche der benötigten Rohstoffe – wie etwa Germanium oder Gallium – nicht universell verfügbar. Nicht umsonst hat China deren Ausfuhr im Juli 2023 aus "Gründen der nationalen Sicherheit" restringiert. Dieses Vorgehen steht in einer langen Reihe des Restriktions- und Subventions-Ping Pong, das die Volksrepublik sich mit den USA liefert. Im Januar 2023 vereinbarten die Niederlande, Japan und die USA, den Export von High-Tech Ausrüstung zur Herstellung von Chips nach China einzuschränken. Der Dreibund ist natürlich kein Zufall. Die in den Niederlanden ansässige ASML (Advanced Semiconductor Materials Lithography) hat eine weltweit führende Position bei Maschinen zur Herstellung von High-End Chips, gefolgt von den Japanern Canon und Nikon. Der Vorgang zeigt zum einen, dass einige westliche Regierungen versuchen, Chinas Chipindustrie auf dem gegenwärtigen Stand "einzufrieren" und zum anderen, dass selbst die USA die diversifizierten Lieferketten nur gemeinsam mit ihren Verbündeten beeinflussen können. Besonders Chips für Anwendungen der Künstlichen Intelligenz, deren ziviler und militärischer Wert ganz besonders hoch ist, stehen weit oben auf der amerikanischen Embargoliste. Am 17. Oktober letzten Jahres verbot die amerikanische Regierung der in Santa Clara (Kalifornien) ansässigen NVIDA den Verkauf von speziellen Chips für KI-Anwendung an die Volksrepublik. Das Unternehmen ist in diesem Segment mit 80% Marktanteil die globale Nr. 1 und Firmen wie OpenAI (ChatGPT), Meta (Facebook, Instagram) und Alphabet (Google) sind auf der Liste seiner Kunden. Nur drei Tage später antwortete China mit Einschränkungen für den Export von verfeinertem, natürlichen Graphit. Damit traf man zwar nicht die Chipindustrie Amerikas, dafür aber die Hersteller von Batterien für Elektroautos. Kollateralschaden nennt man so etwas.

Geopolitischer Hotspot

Computer Chips, umgangssprachlich etwas unpräzise auch als Halbleiter oder Semiconductor bezeichnet, sind eine amerikanische Erfindung. Dennoch sitzt die "Mutter aller Chips" woanders. Taiwanesische Firmen produzieren über alle ihre nationalen und internationalen Standorte hinweg 60% aller Chips weltweit und ca. 90% der technisch Avancierten. Unter "technisch avanciert" versteht man solche – vereinfacht gesagt – auf denen Transistoren mit einer Größe von 10 Nanometern (1 nm = 10-9 Meter) oder weniger aufgebracht sind. Die technologische Spitzenklasse liegt derzeit bei 3 und 5 nm. Je kleiner der Transistor, desto mehr passen auf den Chip und desto leistungsfähiger ist er. Bei dieser Vereinfachung ist im Hinterkopf zu behalten, dass aber nicht nur der Grad der Miniaturisierung für die Leistungsfähigkeit ausschlaggebend ist.

Hotspots der Chip Industrie
Erzeugt mit KI Microsoft Designer

Als größte Produktionsstätten für Chips nach Ländern rangieren nach Angaben von Statista vom 05. Dezember 2023 auf Platz 1 Taiwan, gefolgt von Südkorea, China, Japan und den USA. Die vier Erstplatzierten bedeuten eine erhebliche Konzentration in einem gefährlichen geopolitischen Hotspot. Wenn es hier zu einer ernsthaften Krise kommt, dann hat die gesamte Weltwirtschaft ein substanzielles Problem und aus dem Tech Cold War könnte schnell ein heißer Krieg werden.

Auf dem Weg zur fragmentierten Welt

Entflechtung, auch als De-Coupling und in ihrer abgestuften Form als De-Risking bezeichnet, scheint manchen Beobachtern als Allheilmittel im Kampf der Systeme. Dahinter steckt der Versuch, die eigene Abhängigkeit vom Systemgegner zu beseitigen, zumindest aber zu reduzieren. Im Falle Chinas und der technisch fortgeschrittenen Chips wird das sicher noch eine zeitlang funktionieren, auch wenn es jüngere Meldungen darüber gibt, dass dem in Shanghai beheimateten Unternehmen SMIC inzwischen die Herstellung von 5 nm Chips gelungen ist. Es ist somit wenig verwunderlich, dass die Firma neben Huawei in 2024 nach chinesischen Regierungsdokumenten (Silicon UK, 20. Februar 2024) zu den beiden TOP-Subventionsempfängern des Landes gehören wird. Huawei ist auch einer der Anteilseigner an SMIC. Zu ihren Kunden gehören übrigens auch die amerikanischen Unternehmen Texas Instruments und Broadcom. Entflechtung ist halt schwierig.

Der Tech Cold War findet aber nicht nur im Hinblick auf Chips statt. Er betrifft etwa auch die Infrastruktur des Internets. Sein sog. Backbone besteht aus einem weltweiten System hauptsächlich unterseeisch verlegter Glasfaserkabel, die Stand heute de facto stark unter amerikanischer Kontrolle sind. Insbesondere in den USA ist man sehr darüber besorgt, dass China und Russland – über Sabotage hinaus – durch Beteiligungen an den Unternehmen, die den Backbone besitzen, mehr Einfluss erhalten und seine Umgestaltung zu ihren Gunsten versuchen könnten. Entsprechend bestrebt ist man, vor allem die Volksrepublik aus diesen "rauszuhalten".

Weniger subtil als der Kampf um die physische Infrastruktur des Webs hat die Zensur in vielen Ländern der Welt schon lange staatlich kontrollierte Internetinseln entstehen lassen. Globale Meinungsvielfalt im Netz war gestern. Als Folge verschwindet die ursprüngliche Idee des World Wide Web als weltweites, freies Netz, eines für alle zugänglichen Weltcomputers. Seine Erfinder am CERN in der Schweiz waren der Wissenschaft, nicht der Politik verpflichtet. Die Zensur – in welcher Form auch immer – macht diese Idee zunichte. Schlagende Beispiele für dafür sind die VR China, Russland, Myanmar, Iran und Nordkorea. Ähnliche Vorgänge gibt es aber auch in den liberalen Staaten des Westens, nur anders. Dort entstehen im Internet Informationsblasen, in denen man sich wunderbar von Andersdenkenden abschotten und "syndikalisieren" kann. Trump’s "TruthSocial" Plattform ist ein besonderes Beispiel dafür. Intoleranz und Radikalisierung sind die Folgen. Die Welt triftet somit auf mehr als nur eine Weise wieder auseinander, nachdem moderne Technologie sie erst zusammenwachsen ließ.

Amerika als Verlierer?

Digitale Fragmentierung wird sich angesichts der Rivalität zwischen China und den USA aber auch auf die Technologie als solche auswirken. Die Geschichte der IT wurde lange auf beiden Seiten des Atlantiks geschrieben, seit einiger Zeit schon hat sie sich auf beide Seiten des Pazifiks verlagert. Der schnelle globale Aufstieg der IT basiert nicht unwesentlich auf der Vereinheitlichung von technischen Standards, welche die Systeme unterschiedlicher Produzenten, egal welcher geografischer Herkunft, interoperabel und kompatibel miteinander machen. Das setzt voraus, dass ihre Hersteller sich auf solche Standards einigen, was in der Regel in gemeinsamen Industriegremien geschieht. Für jeden Nutzer von IT ist dies nicht zuletzt aus Kostengründen ein wichtiges Kaufkriterium. Es ist kaum anzunehmen, dass die Interoperabilität bestehen bleibt, wenn China und die USA sich voneinander abschirmen und es deshalb einheitliche Standards nicht mehr geben wird. Damit einher könnte der Verlust der weltweiten IT-Hoheit der USA und vor allem ihrer Unternehmen gehen, was von China durchaus gewollt sein dürfte.

 

Quelle: US Congress

Weniger gewollt ist wahrscheinlich der Auszug amerikanischer Investoren. Die New York Times berichtete am 21. Februar 2024 von einem erheblichen Exodus der Silicon Valley Investoren aus der Volksrepublik. Darunter sind so bekannte Namen wie der von Sequoia Capital und DCM. Diese und andere Unternehmen sind wegen ihres Engagements bei chinesischen Startups politisch unter Druck geraten. Eine "Executive Order" von Joe Biden hat im August letzten Jahres Venture Capital- und Private Equity-Firmen verboten, weiteres Geld in chinesische Firmen zu investieren, die Halbleiter und andere Mikroelektronik, Quantencomputer und bestimmte Anwendungen von künstlicher Intelligenz herstellen. Laut einem Bericht des "Select Committee on the Chinese Communist Party" des amerikanischen Kongresses vom Februar 2024 haben alleine die fünf großen Investoren GGV Capital, GSR Ventures, Qualcomm Ventures, Sequoia Capital und Walden International über 3 Milliarden US Dollar investiert, davon 1,9 Milliarden in KI-Firmen "und mindestens weitere 1,2 Milliarden in den Halbleitersektor". Die Gesamtsumme der Investitionen aller amerikanischer VCs dürfte laut den Abgeordneten "viele Milliarden mehr" betragen.

Tech Cold War und die damit einhergehende technologische und ökonomische Fragmentierung der Welt hat also viele Facetten und leider auch viele negative Konsequenzen. Wer bis vor kurzem noch glaubte, dass wirtschaftliche und technologische Verflechtung zwischen Staaten diese auch politisch zusammenwachsen lässt, hat sich getäuscht. Mir selbst ging es nicht anders. Stattdessen ist der Imperialismus des späten 19. Jahrhunderts wieder auferstanden, ein neues Gespenst geht um, nicht nur in Europa. Es hat die schöne Illusion zerstört. Die Frage, ob eine entglobalisierte, fragmentierte Welt sicherer oder gar wirtschaftlich prosperierender ist, darf man getrost mit "nein" beantworten. Kurzfristig wird das stärker denen Schaden, die aktuell dabei mehr zu verlieren haben. Ob die Bilanz langfristig ausgeglichen sein wird, muss die Zeit erweisen.

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