Captain Kirks Traum
Captain James T. Kirk, Kommandant des Raumschiffs Enterprise, hatte einen Traum: "To boldly go where no man has gone before". Die Fans der Star Treck Serie werden sich daran erinnern können. Bei dem Versuch, Kirks Spruch in die Welt der IT zu übersetzen, fallen mir zuerst die gigantischen Rechenleistungen ein, die mit Quantenrechnern verbunden sind. Sie eröffnen uns technische Möglichkeiten weit jenseits unserer heutigen Grenzen, wir dringen mit ihnen in neue Welten vor, in denen noch nie zuvor ein Mensch war. Von den theoretischen Konzepten der 1980er Jahre bis zum Nachweis der sog. "Quantum Supremacy" im Oktober 2019 durch Googles Sycamore Rechner hat es – bedenkt man die notwendige, enorme theoretische und technische Grundlagenforschung – nicht allzu lange gedauert. Hilfestellung erhielt Google dabei sowohl von der NASA wie auch dem renomierten Oakridge National Laboratory (ORNL) des amerikanischen Energieministeriums. Die Forschungseinrichtung besitzt mehrere der leistungsfähigsten, "klassischen" Supercomputer der Welt. Googles Behauptung in der online-Ausgabe der Zeitschrift "Nature" vom 23. Oktober des Jahres, dass Sycamore in 200 Sekunden Rechenoperationen durchführen könne, für die modernste Supercomputer mehr als 10.000 Jahre brauchen würden, blieb nicht unbestritten. Zudem war der praktische Nutzen der durchgeführten Berechnungen gering. Es bleibt aber doch die gewaltige wissenschaftliche Leistung, die dem Experiment zugrunde lag. Wie so oft in der Geschichte der IT hat Amerika wiedermal mit der bekannten Kombination aus staatlichen Forschungseinrichtungen und privater Wirtschaft gepunktet. Die Antwort des großen Systemrivalen auf der anderen Seite des Pazifiks ließ nicht lange auf sich warten. Am 03. Dezember 2020 berichteten chinesische Forscher in "Science", dass sie mit ihrem Rechner Jiuzhang ebenfalls die Quantum Supremacy nachgewiesen haben, allerdings mit einem anderen technischen Ansatz als Google. Es lebe die Konkurrenz und die Vielfalt!
Derzeit sind wir nach seriösen Schätzungen noch ca. 20 Jahre von der Lösung universeller praktischer Probleme durch solche Maschinen entfernt. Die Situation erinnert ein bißchen an die ersten Großcomputer aus dem Zweiten Weltkrieg, wie ENIAC oder Colossus, die erst nur speziellen Zwecken dienten und deren Technologie dann den Weg in die Welt der Wirtschaft und der universellen Problemlösungen fanden.
Die Magie der Quanten
Quantenrechner arbeiten mit Quantum Bits, kurz QuBits genannt. Der Begriff wurde zu Beginn der 1990er Jahre von dem amerikanischen Physiker Ben Schumacher eingeführt. Wie funktionieren sie und warum sind sie soviel schneller als unsere guten alten binären Bits?
In der faszinierenden Welt der Quantenphysik gibt es Dinge, die sich unserer menschlichen Wahrnehmung und damit unserer Erfahrungswelt völlig entziehen. Zwei dieser Phänomene sind die Überlagerung (Superposition) und die Quantenverschränkung (Quantum Entanglement). Beide sind dafür verantwortlich, dass wir mit Qubits sehr viel schneller rechnen können als mit klassischen Bits. Wer darüber Genaueres wissen will, den verweise ich auf mein Buch "Zeitenwende. – Wie die IT unsere Welt verändert."
Superposition beschreibt die Fähigkeiten von Quanten (wie z.B. Photonen, die Elementarteilchen des Lichts), mehrere Zustände gleichzeitig annehmen zu können. Das können klassische Bits, die in elektronischen Systemen nur die binären Zustände Strom aus (0) oder Strom an (1) besitzen können, nicht. Deshalb rechnen wir mit diesen Bits sequenziell, d.h. ein Bit nach dem anderen wird von einem Computer prozessiert. Das macht einen Vorteil von Qubits deutlich: Da sie mehrere Zustände gleichzeitig annehmen, können wir mit ihnen statt sequenzieller nun parallele "Bitverarbeitung" betreiben. Der Geschwindigkeitsvorteil liegt auf der Hand und steigert sich exponentiell, je mehr Qubits eingesetzt werden. Während Sycamore 2019 noch mit 53 Qubits arbeitete, nutzte Jiuzhang ein Jahr später bereits 66. Quantensuprematie gegenüber einem klassischen Supercomputer setzt bei 50 Qubits ein. IBM hat im November 2022 laut eigenen Angaben schon 433 Qubits mit seinem Osprey Prozessor verarbeitet und geht davon aus, dass bis 2025 1.000 erreicht werden. Zum Vergleich: Die Anzahl der benötigten "normalen" Bits, die verarbeitet werden müssen, um an die Geschwindigkeit von Ospreys heranzukommen, ist größer als die Anzahl aller Atome im bekannten Universum.
Doch damit nicht genug. Neben der Superposition bescheren uns die Quanten mit dem erwähnten Quantum Entanglement einen weiteren Vorteil. Der Begriff geht auf den österreichischen Physiker Erwin Schrödinger zurück, Albert Einstein nannte es spottend "spukhafte Fernwirkung". Verschränkung verbindet die Zustände zweier Quanten miteinander. Der Effekt: Wenn sich der Zustand eines der verschränkten Qubits ändert, dann ändert sich auch sofort der des anderen entsprechend. Das geschieht – als kleine Randbemerkung – unabhängig von der Entfernung zwischen den beiden Qubits, auch wenn sie viele Millionen Kilometer weit auseinander sind. Albert Einstein hatte daran verständlicher Weise wenig Freude, schließlich gibt es nach seiner speziellen Relativitätstheorie keine höhere Geschwindigkeit als die des Lichtes und somit auch nicht für die Übertragung von Informationen.
Das Entanglement verstärkt also noch den Geschwindigkeitseffekt, den die Eigenschaft der Superposition von Quanten hervorbringt. Die parallele Verarbeitung geht noch schneller und der Vorteil gegenüber den klassischen, sequenziell verarbeiteten Bits steigert sich nahezu unermesslich. Natürlich gibt es noch weitere Einflussfaktoren auf die Verarbeitungsgeschwindigkeit, wie z.B. die Qualität der angewandten Algorithmen oder die benutzte Hardware. – Das ist bei klassischer Bit-Verarbeitung aber nicht anders.
Quantencomputer und Wirtschaft
Es versteht sich nahezu von selbst, dass Quantenrechner immer dann besonders vorteilhaft sind, wenn die zu lösenden Aufgaben sehr komplex, extrem rechenintensiv und so relevant sind, dass man es sich nicht leisten kann, jahrelang auf die Ergebnisse eines klassischen Supercomputers zu warten. Firmen wie Microsoft, IBM und die kanadische D-Wave haben mittlerweile ganze Ökosysteme von Partnerfirmen geschaffen, mit deren Hilfe sie die Entwicklung von kommerzielle Anwendungen für Quantum Computing betreiben. Sie stellen im Internet Plattformen für Drittfirmen bereit, auf denen diese Anwendungen für Quantum Computer entwickeln und testen können. Wissenschaftliche Pendants, wie etwa das Supercomputing Center in Jülich, arbeiten derweil weiter an der Grundlagenforschung. Je mehr Firmen und Institute sich dem Thema verschreiben, desto größer ist die Chance auf einen wirtschaftlichen und technischen Durchbruch.
Frühe Anwendungen für Quantenrechner existieren bereits in unterschiedlichen Bereichen der Wirtschaft. Zu den Vorreitern gehören z.B. die Generierung und Optimierung von Investmentportfolios sowie die Voraussage von deren Rentabilität. Eine solche Applikation hat das Unternehmen Multiverse in Zusammenarbeit mit der spanischen Bank BBVA auf der D-Wave Plattform entwickelt. Die Firma Menten AI hat mit Hilfe von Quantenanwendungen Erfolge beim Design von Proteinen erzielt, die "astronomische Dimensionen" haben und beim Kampf gegen COVID-19 zum Einsatz kommen. Der Automobilzulieferer Denso hat mit Hilfe eines Quantenrechners einen Proof-of-Concept entwickelt, um komplexe Produktionsprozesse zu optimieren. Chemical Engineering zur Optimierung der Zusammensetzung von Lithiumbatterien wird von Hyundai gemeinsam mit dem amerikanischen Startup IonQ betrieben.
Bei vielen der Anwendungen tun sich etablierte Hersteller mit Startups zusammen. Das ist sicher auch ein Charakteristikum der frühen Entwicklungsphase dieses Marktes. Zudem wird vielfach versucht, eine hybride Umgebung zu schaffen, in denen klassische Großrechner mit Quantenrechnern kombiniert werden, um so die Vorteile beider Welten zu nutzen und sicher auch die Ergebnisse des Quantum Computing zuverlässiger zu machen. Kombiniert man zukünftig die enorme Rechenleistung der Quantencomputer mit den Möglichkeiten Künstlicher Intelligenz, dann werden wir durch einen bisher noch ungeahnten wirtschaftlichen Transformationsprozess gehen. Eines aber kann jetzt schon zuverlässig gesagt werden: Die Welle rollt, sie wird täglich größer und nichts wird sie noch aufhalten können.