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IT, Demokratie und die Angst der Diktatoren

Demokratien sterben langsam

Vom Ende der römischen Republik bis in moderne Zeiten gibt es durchaus Belege für diese These. Julius Caesar bediente sich 46 v. Christus einer republikanischen Institution, nämlich des römischen Senates, um sich zum Diktator und wenig später zum Diktator auf Lebenszeit (Dictator Perpetuo) ernennen zu lassen. Die Weimarer Republik (1918-1933) in Deutschland starb eines langsamen Todes, sie wurde von Innen durch Nazis und Kommunisten ausgehöhlt, am Ende stand 1933 das ganz "legale" Ermächtigungsgesetz. In Russland markierte die Auflösung der Sowjet Union 1991 das Ende der kommunistische Diktatur und den zarten Beginn einer demokratischen Transformation. Dieser Prozess wurde von Putin schrittweise beendet und das Land wurde faktisch ebenfalls zur Diktatur auf Lebenszeit. In der Türkei erleben wir einen "Roll Back" zu autokratischen Verhältnissen mit offenem Ausgang. Die liberale Demokratie in Israel steht auf der Liste der gefährdeten Arten. Unter den "trumpistischen" Politikern der USA gibt es wenig Wertschätzung für demokratische Institutionen und auch innerhalb der EU ist das Bild nicht nur rosig.

Was hat das mit IT zu tun?

Wenig, soweit die Welt bis zum Beginn der 2000er Jahre betroffen ist. Schaut man hingegen in die jüngere Zeit, dann muss die Aussage deutlich differenzierter ausfallen. Mit dem Vordringen des Internets als Forum für Austausch und Informationsgewinnung kann man leider nicht die Hoffnung verbinden, dass IT aufgrund dieser neuen Möglichkeiten "automatisch" auch die demokratische Debatte fördert. Der Digital News Report 2023 des Reuters Institute for the Studies of Journalism stellt fest, dass insbesondere jüngere Leute Informationen nicht über journalistisch kurartierte Medien – wie etwa die Webseiten der großen Zeitungen oder Apps, wie die von ZDF oder Al Jazeera, suchen. Hingegen werde der Quereinstieg über Soziale Medien und eine wachsende Zahl fragmentierter Informationskanäle bevorzugt. Prominente und Influencer auf Netzwerken wie TikTok, Instagram und Snapchat erhalten deutlich mehr Aufmerksamkeit. Die Trivialisierung von Inhalten darf befürchtet werden. Radikale, antidemokratische Gruppen organisieren sich in den Sozialen Medien und verbreiten dort ihre "Nachrichten", Internet-Trolle versuchen im Auftrag von Diktaturen Meinungen und Wahlen zu beeinflussen, Zwietracht zu sähen und zu radikalisieren. Anstelle des Marsches durch die Institutionen, den noch die 68er Generation plante, ist der Marsch durch die Plattformen getreten. Die Abwehrschlacht der Demokratien hat sich in die virtuelle Welt verlagert. Anders als noch zu Zeiten der Weimarer Republik spielt sich der Kampf um sie nicht mehr geräuschvoll auf der Straße ab, sondern lautloser und damit für die Masse der Bevölkerung weniger bewusst und wahrnehmbar. Es besteht also durchaus ein Risiko, dass den Demokratien die Macht über die virtuelle Welt schrittweise entgleitet.

Alles schlecht?

Würde ich den Medien folgen, dann wäre die Antwort auf diese Frage eindeutig "ja". Sie lieben schlechte Nachrichten. Hier scheint es ebenfalls eine eingebaute Filterfunktion zu geben, die Positives herausfischt und Chancen ignoriert. Dunkle Mächte herrschen über Billionen von Codezeilen und Dollars, mit denen sie dem Ende der Demokratie Vorschub leisten. Was unter den Tisch fällt ist die Tatsache, dass der Weltcomputer Internet auch ein Forum für Meinungsfreiheit, ein Sprachrohr der Unterdrückten, eine Plattform für Whistle Blower und das Schreckgespenst der Diktatoren ist. Wer Freiheit verhindern will, der versucht den freien Fluss von Informationen über das Web zu unterdrücken. Selbst das Dark Web, zum Teil mit Recht verteufelt, bietet sicheren Zugang für Menschen mit einem Meinungs- und Freiheitsproblem. Nicht umsonst finden sich dort z.B. die Server von Facebook, den Investigativ-Journalisten von ProPublica und die Webseite SecureDrop. Sie ist die Gemeinschaftsseite einer Reihe bekannter Publikationen, darunter die Washington Post, The Guardian und Al Jazeera. Unterhalten wird sie von der Freedom of the Press Foundation, bei der  der bekannteste Whistle Blower aller Zeiten, Edward Snowden, im Beirat sitzt.

Diktaturen als Opfer

Interessanterweise wird die Demokratie zumeist als das Opfer betrachtet. Sie scheint klar in der Defensive, sie befindet sich im Abwehrkampf. Doch wenn ich mir die Frage stelle, wer vor dem "Weltcomputer" mehr Angst haben muss, dann fallen mir die Demokratien nicht zuerst ein. Der arabische Frühling begann Ende 2010 und steht für eine Reihe von pro-demokratischen Protestbewegungen in Nordafrika und dem Mittleren Osten. In Ägypten beendete er die Herrschaft von Hosni Mubarak, in Tunesien die von Präsident Ben Ali. Er wurde erheblich befördert durch das Web und die Möglichkeiten, die es den Menschen in diesen Ländern bot. Im Iran ist das Internet seit vielen Jahren schon der Stachel im Fleisch der Mullahs, weshalb sie regelmäßig versuchen, es zu kappen. China hat seine "Great Firewall" etabliert, um die Bevölkerung von der Außenwelt abzuschirmen und den Austausch von Informationen zu verhindern. Nord Korea nutzt Kwangmyong ("Helles Licht"), einen sog. Walled Garden, für die gleichen Zwecke. In Myanmar war die Militär Junta 2021 mit 15 Shutdowns zur Unterdrückung der Protestbewegung weltweiter Spitzenreiter. Solche Beispiele können beliebig fortgesetzt werden. Diktatoren dürften sich daher mindestens so viele Sorgen um den Einfluss des Webs auf ihr politisches System machen wie demokratische Regierungen. Doch während die Diskussion darüber in einer offenen Gesellschaft naturgemäß auch öffentlich geführt wird, geschieht das in autoritären Regimen nicht. Schwäche zu zeigen gehört nicht zu ihren Stärken.

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