Honigtopf Dark Web
Das Dark Web erfreut sich zunehmender Beliebtheit. Wie die Bienen zum Honigtopf pilgern immer mehr Menschen in das Kellergewölbe des Internets. Folgt man den Statistiken auf "TOR Metrics", dann ist die tägliche Besucherzahl des Dark Webs von durchschnittlich 2,5 Millionen am Tag in 2022 auf über 4 Millionen in 2023 gestiegen. Ein bisher einsamer Spitzenwert wurde mit 9,03 Millionen am 21. Oktober 2023 erreicht. Unter den Besuchern des Jahres 2023 hält Deutschland bis inkl. 04. November mit durchschnittlich 1,2 Millionen (34,5 %) am Tag die Spitzenposition, gefolgt von den USA mit 0,673 Millionen (19,1 %). Unter den übrigen Top Ten sind Staaten wie Indien, Russland und Iran vertreten. Setzt man solche Zahlen in Relation zur Bevölkerungszahl, dann ergeben sich daraus interessante Spekulationen.
Das Dark Web erreicht man nur über den TOR Browser, die Chrome und Edge dieser Welt funktionieren hier nicht.
Das dunkle Netz hat einen schlechten Ruf. Zurecht, aber auch zu Unrecht, wird es als Tummelplatz für Kriminelle aller Couleur gesehen. Dort trifft man auf Organhändler, Kinderschänder, Waffenschieber oder Handelsplattformen für Drogen und gestohlene Daten. Die schwarze Liste des dunklen Netzes kann beliebig fortgesetzt werden. In meinem Buch "Zeitenwende. Wie die IT unsere Welt verändert" ist allgemeinverständlich beschrieben, wie der Zugang zum Dark Web funktioniert, was es technisch vom "normalen" Internet unterscheidet und welche Szene sich dort versammelt. Ein solches Umfeld muss übrigens als Warnung dienen: Man sollte sich nur dann ins Kellergewölbe begeben, wenn man weiß, was man tut und entsprechende Sicherheitsvorkehrungen treffen kann. Der weise Jedi-Meister Yoda aus der Star Wars-Serie hat es auf den Punkt gebracht:
„When you look at the Dark Side, careful you must be. For the Dark Side looks back.“
100 Shades of Grey
Die helle Seite des Dark Webs tritt weit weniger ins öffentliche Bewusstsein. Das passt ins Gesamtbild unserer Nachrichtenwelt. Wer abends etwa das "Heute Journal" oder die "Tagesschau" einschaltet, geht anschließend depressiv ins Bett. Schlechtes verkauft sich besser. Das dunkle Netz bekommt aber hell leuchtende Risse, wenn man jenseits der gängigen Medien danach sucht. Laut BanklessTimes, einem Informationsdienst für die alternative Finanzindustrie (womit Kryptowährungen & Co gemeint sind), ist etwas mehr als die Hälfte aller Inhalte im Dark Web illegal. Darin steckt eine unvermutet gute Nachricht: Fast die Hälfte ist legal. Das Bild des dunklen Netzes setzt sich zusammen aus vielen Grautönen.
Wer sind diese "Guten", die sich im Dark Web tummeln?
Viele von ihnen kommen aus Ländern, in denen Meinungsfreiheit nicht geschätzt wird. Das dürfte mit dafür gesorgt haben, dass ein Land wie Iran mit "nur" 84 Millionen Einwohnern dennoch auf die Top 10 der Besucherländer des Dark Web kommt. Ebenso passt dazu, dass Russland und Iran mit großem Abstand zu den beiden nächst platzierten USA und Deutschland auch die beiden vordersten Plätze bei den sog. Bridge Usern einnehmen. Im Kontext des Tor-Netzwerkes bezeichnen Bridges solche Zugangsserver, die nicht öffentlich verzeichnet sind. Im Gegensatz dazu sind die "normalen" Zugangsserver (sog. Relay Server) bekannt und können daher leichter blockiert werden. Wer also aus guten Gründen anonym bleiben will, sei es z.B. dass er seine Meinung frei äußern oder mit Gleichgesinnten kommunizieren möchte, dürfte Bridge-Server bevorzugen. Natürlich gilt das auch für kriminelle Absichten, was die Plätze für die USA und Deutschland nicht gerade schmeichelhaft erscheinen lässt.
Gute Beispiele für die "helle" Nutzung des Dark Webs sind die dortigen Server von Facebook und die von investigativen Journalisten, wie etwa das mit mehreren Pulitzer Preisen bedachte Netzwerk ProPublica. Wie viele andere Webseiten gewährleisten sie durch ihre Präsenz sichere Foren für freie und anonyme Meinungsäußerung sowie ungehinderte Kommunikation.
Dark Web-Seiten wie SecureDrop oder BlackCloud sind für Whistle Blower von hoher Bedeutung. SecureDrop ist die Gemeinschaftsseite einer Reihe bekannter Publikationen, darunter die Washington Post, The Guardian und Al Jazeera. Sie wird von der Freedom of the Press Foundation unterhalten, bei der Edward Snowden im Beirat sitzt.
Auch Geheimdienste wie die CIA unterhalten Dark Web-Seiten, die mit TOR für jedermann zugänglich sind. Der Grund ist natürlich auch hier die sichere Kommunikation mit Zielgruppen unterschiedlichster Art. Wer der CIA was zu sagen hat und das Risiko entdeckt zu werden minimieren möchte, findet an dieser Stelle einen adäquaten Anlaufpunkt.
Stößt man also durch das gängige Meinungsbild hindurch und schaut genauer hin, so zeigt sich das Dark Web als eine vielseitige Variante des Internets, was seine mehrheitlich kriminellen Webseiten nicht verharmlosen soll. Dark bedeutet nicht zwangsläufig dunkel im Sinne von dunklen Machenschaften. Seine Inhalte verbergen sich hinter mehrfachen Schichten von Verschlüsselungen und Anonymisierungen, weshalb sein Name auch ebenso gut mit "unsichtbares Netz" übersetzt werden kann. Wer das dunkle Netz aus legitimen Gründen betritt, sollte sich an die Packungsbeilagen von Medikamenten erinnern. Trotz ihrer möglicherweise positiven Wirkung wird vor Risiken und Nebenwirkungen gewarnt.