Es geht auch ohne Dich, Donald...
Donald Beyer repräsentiert in Virginia mit seinem hohen Bekanntheitsgrad und guter Vernetzung das politische Urgestein. Unter Barack Obama war er Botschafter der USA in der Schweiz. Erstmals hat der Demokrat bei den Wahlen 2014 einen Sitz im US-Repräsentantenhaus gewonnen und ihn seitdem auch behalten. Den letzten Urnengang gewann er 2022 sehr komfortabel mit einem Stimmenanteil von rund 75 Prozent. Vier Wochen vor der nächsten Wahl 2024 macht ihm allerdings ein "Nobody" Kopfzerbrechen. Nicht etwa, dass Bentley Hensel mehr Geld für seine Kampagne gesammelt hätte als Don Beyer. Bentley hat es auf ganze 17.000 Dollar gebracht, während Don mit 1,5 Millionen glänzen kann. Beyer hat vielmehr eine Debatte mit ihm und weiteren Kandidaten abgelehnt, die am 17. Oktober als Streamingdienst stattfinden soll. Schließlich, so seine Sprecherin, habe er sich im September schon einem Forum mit seinen Konkurrenten gestellt. Die Ablehnung ist taktisch nachvollziehbar, da eine solche Debatte dem Bekanntheitsgrad der Konkurrenz nützen und für Beyer Risiken bergen würde. Genutzt hat es ihm wenig, da die US-Medien dem Fall ausreichend Aufmerksamkeit gewidmet haben. Hensel wurde über Nacht bekannt. Was war geschehen?
Beyers Pech: Er hat es hier mit einem Software-Ingenieur zu tun, der sich laut seinem LinkedIn-Profil für seinen Arbeitgeber CivicActions ("We help improve government services through modern technology and design") mit den Themen Datenanalyse und KI beschäftigt. Die Firma ist so klein, dass noch alle ihre Mitarbeiter auf der Home Page mit Photo Platz finden. Nun hat Hensel kurzerhand angekündigt, dass er für die Debatte eine KI-ChatBot programmieren werde, der anstelle des unwilligen Donald Beyer daran teilnehmen wird. "DonBot" ist seine Name, er greift über ein API auf OpenAI’s ChatGPT zu und kann so dessen Funktionalität nutzen.
Ist das normal, ist das legal?
Normal ist das nicht. Mir sind jedenfalls keine weiteren Fälle bekannt, die dem Vorgang aufgrund ihrer Anzahl oder nachweislicher, gesellschaftlichen Akzeptanz so etwas wie Normalität verschaffen würden. Die Antwort auf die Frage, ob es legal ist, ist offener. Beyer hat der Aktion nämlich nicht zugestimmt. Immerhin macht Hensel auf seiner Webseite öffentlich bekannt, dass es sich bei der Präsenz seines Konkurrenten lediglich um einen Bot handeln werde. Und "fake" seien die Inhalte auch nicht, da die KI nur auf tatsächliche Äußerungen von Beyer zugreife. So nutzt sie z.B. Informationen von dessen Webseite, Pressemitteilungen und andere allgemein zugängliche Quellen. Formaljuristisch ist das alles richtig. Dennoch wird nicht jede nationale Jurisdiktion hier zum gleichen Ergebnis kommen. In Europa ist Hensels Vorgehen sicher nach den Normen des AI-Act des EU Parlamentes zu beurteilen und hier sähe es schlecht für ihn aus. Zwar sind Deep Fakes – worum es sich hier trotz der Öffentlichmachung des ChatBots formal handelt – grundsätzlich nicht verboten. Aber doch schon, wenn damit Verhalten beeinflusst werden soll, in diesem Falle also das Wahlverhalten. Eine Unterlassungsklage von Beyer hätte demnach in der EU wohl eine gute Chance.
Wer braucht schon Parlamente?
Die IT verändert die Politik. Nicht nur international, etwa durch TechWar, sondern auch und vor allem im Inneren. In den USA ist es nicht unüblich, dass Wähler von ChatBots sog. "Überzeugungsanrufe" erhalten. Einen solchen Fall habe ich auf dieser Blogseite an anderer Stelle bereits dargestellt. Auch die sehr bedeutende Rolle von KI beim "Micro Targeting" von Wählern mit personalisierten Botschaften, die sie für einen Kandidaten einnehmen sollen, ist inzwischen Normalität. Der Vorgang um Hensel und Beyer hat aber eine andere Qualität als die eines bloßen Anrufes oder einer zielgerichteten Email. Diese Qualität ist grundsätzlicher Art.
Wenn vielleicht nicht juristisch, so ist doch Hensels Vorgehen moralisch recht fragwürdig. Hier kann ein politischer Wettbewerber während einer Debatte die von ihm früher mal getätigten Aussagen weder begründen, ausdifferenzieren noch in einen Kontext stellen. Dazu müsste er ja anwesend sein. Und wer sollte Hensel in Echtzeit widersprechen können, wenn dieser der einzige Mensch unter den Teilnehmern ist? Hensel hat bereits angekündigt, dass ein weiterer Konkurrent, der seine Teilnahme noch nicht bestätigt hat, im Falle einer Ablehnung auch durch einen ChatBot vertreten sein werde. Das ist eine Menge direkter Zwang, den ein einzelner Kandidat hier mit Hilfe von Technik auf einen anderen ausübt. Das kontrastiert merkwürdig mit dem Bild, das Hensel auf Ballotpedia von sich zeichnet. Wird in Zukunft jeder Kandidat seine eigenen Debatten streamen, bei denen die anderen zwangsweise nur durch Bots vertreten sind? Es stellt sich damit auch die Frage nach der Authentizität von Politik und wo die Grenzen des Erlaubten liegen sollten. Die Entpersonalisierung einer Debatte durch einen ChatBot fördert diese Authentizität sicher nicht. Wer politische Streitgespräche vor laufender Kamera erlebt hat weiß, wie sehr Kandidaten nicht nur durch Inhalte, sondern auch durch Gestik, Mimik und andere Formen der Körpersprache wirken. Auch so etwas wie Charisma, wenn denn vorhanden, dürfte durch einen Bot kaum rüberkommen. Warum sollten wir dann nicht gleich die Parlamente abschaffen und es der KI überlassen, untereinander zu debattieren? Billiger und weniger Aufwand wäre das allemal. Solange die Inhalte von den Webseiten und anderen öffentlichen Statements der beteiligten Politiker stammen, ist das doch okay. Oder?