Amerikas Dominanz und Europas Chancen

Die moderne IT ist in wesentlichen Teilen während des Zweiten Weltkrieges und im Kalten Krieg der folgenden Jahre entstanden. An ihrem Ende war der Grundstein zur der bis heute währenden technologischen, politischen und ökonomischen IT-Dominanz der USA gelegt. Erst in jüngster Zeit wird diese Position durch China stark herausgefordert, während Europa seine Chance verpasst hat, ein global Player auf diesem Gebiet zu werden. Was waren die wichtigsten Faktoren für diese Entwicklung?

Der Aufbruch in die moderne IT begann an den Hauptschauplätzen Deutschland, Großbritannien und den Vereinigten Staaten im Wesentlichen zeitgleich und weitgehend unabhängig voneinander. Die auffallende Koinzidenz war kein Zufall. Zum einen stellte die prämoderne Rechentechnik keine genügenden Antworten auf die Erfordernisse komplexer werdender Problemlösungen mehr dar. Zum anderen – und wesentlicher – erzeugten der Zweite Weltkrieg und der anschließende Kalte Krieg einen erheblichen Handlungsdruck. In einer Zeit wachsender systemischer Auseinandersetzung zwischen den beiden Machtblöcken von West und Ost erhoffte man sich durch die Computerisierung der Waffentechnik Vorteile für den eigenen Sieg. Dies wirkte sich auf die Entwicklung von modernen Rechenmaschinen und Software vor allem im Westen katalytisch aus, während der Osten auf längere Sicht nicht mithalten konnte. Prinzipiell Vergleichbares passiert heute zwischen den USA und China. Hier ist der Ausgang des Rennens allerdings noch offen. Die Computerisierung des letzten Jahrhunderts hat sich in der Gegenwart längst zur Digitalisierung aller Bereiche der modernen Welt  ausgeweitet, womit die IT nicht nur mehr Mittel, sondern auch Ziel der Auseinandersetzung geworden. Ein prominentes Beispiel dafür ist die Verhinderung des Transfers von Know How zur Herstellung moderner Computer-Chips nach China und des Handels mit ihnen durch die USA. Im Gegenzug ist das Silicon Valley zum Top-Ziel chinesischer Spionage geworden und läuft in dieser Hinsicht den Amtsstuben in Washington den Rang ab.

ENIAC Frauen
Programmierung von ENIAC, Science Photo Library

Moderne Computer

Die vierziger Jahre des letzten Jahrhunderts markieren den Beginn der modernen Computer. Damals war der Einsatz Rechner noch für bestimmte Zwecke eingesetzt. Den Kriegszeiten geschuldet waren diese in der Regel militärischer Art. Beispiele dafür sind ballistische Berechnungen für Artilleriegeschosse, Maschinen für die Dechiffrierung feindlicher Nachrichten oder die Optimierung der Statik von Flugzeugen. Die Idee, Computer für beliebige Aufgaben einsetzen und mit Hilfe von Software programmieren und steuern zu können, nahm während des Krieges aufgrund der vielfachen Anwendungsfelder stark an Fahrt auf. Dank entsprechender theoretischer Vorarbeiten durch Wissenschaftler wie John von Neumann und Alan Turing wurden sie in den Folgejahren sukzessive realisiert. "Programmieren" bedeutete aber bis dahin im Wesentlichen noch das Umstecken von Kabeln zwischen den einzelnen Hardwarekomponenten eines Rechners, je nachdem welche Aufgabe er bewältigen sollte. Fotos des während des Krieges mit Hilfe des amerikanischen Verteidigungsministeriums gebauten Großrechners ENIAC stellen das anschaulich dar. Im Falle von ENIAC war es zumeist weibliches Personal, das diese komplexe Arbeit erledigte. Als "the women of ENIAC" sind sie in die IT-Geschichte eingegangen.

Vor dem Krieg hatte Konrad Zuse mit seiner Z1 noch einen "Computer" mit mechanischem Rechenwerk gebaut und 1938 fertig gestellt. Sein Zweck war es, langwierige statistische Kalkulationen, wie sie beim Flugzeugbau anfallen, zu automatisieren. Aufgrund der hohen Fehleranfälligkeit dieser Maschine, deren mechanische Glieder von einem Staubsaugermotor angetrieben wurden, kam nur zwei Jahre später das Nachfolgemodell Z2. Dieser Computer der ersten Generation ohne mechanisches Rechenwerk nutzte elektromechanischen Relais zur Steuerung seiner Schaltkreise.  Die zweite Generation der 1940er und Folgejahre verzichtete zunehmend auf die Nutzung von Relais und setzte statt ihrer Elektronenröhren (auch Vakuumröhren genannt) ein. Beispiele für Rechner dieser Art sind der britische Colossus, der schon erwähnte ENIAC sowie der ebenfalls amerikanische Harvard Mark I, der 1943 fertiggestellt wurde. Die Folgegenration entsprach nach Bauart im Prinzip den heutigen Rechnern. Sie ersetzte die Röhren durch Transistoren, deren Stromfluss von Widerständen gesteuert wurde und verfügte über interne, elektronische Datenspeicher. Mit ihnen konnte man Programme und Daten im Rechner hinterlegen und damit zunehmend auf die bis dahin gängigen Lochkarten verzichten. Mit diesen drei Kriterien, universelle Programmierbarkeit, elektronische Datenverarbeitung und elektronische Speicher war die Blaupause für die folgenden Generationen geschaffen. In Großbritannien, dem dritten im Bunde der führenden, transatlantischen Computerentwickler, wurde mit Colossus eine Rechenmaschine gebaut, mit deren Hilfe man letztlich erfolgreich versuchte, die Kommunikation der deutschen Wehrmacht zu dechiffrieren. Colossus war ein "Brain Child" des Ingenieurs Tom Flowers, einem Angestellten des britischen Post Office. Seine Arbeit ist, wie auch die von Zuse, ein Beispiel für die Konvergenz von Nachrichten- und Computertechnik. Die erste Version von Colossus aus dem Jahre 1943 besaß ca. 1600 elektronische Röhren und wurde noch wie ENIAC mittels Neuverkabelung programmiert. Auch wenn Nationalstolz und Politik dazu verleiten, die Entwicklung moderner Computer für bestimmte Personen einer bestimmter Nationalität zu reklamieren, so ist die historische Faktenlage doch eine andere. Den einen Erfinder des modernen Rechners gibt es nicht, der Erfolg hatte tatsächlich viele Väter.

Den Erfinder des Computers gibt es nicht

 

 

Was sich schon während der Kriegsjahre abzeichnete und danach noch deutlicher fortsetzte, war das sehr unterschiedliche Engagement des Staates für die Weiterentwicklung der Rechenmaschinen. Konrad Zuse erhielt noch während des Krieges einen lukrativen Auftrag von der Deutschen Versuchsanstalt für Luftfahrt (DLV), der Vorgängerin des heutigen Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt, DLR. Die infolge dessen 1941 fertiggestellte Z3 benutzte für ihre Berechnungen bereits das binäre Zahlensystem und Gleitkommatechnik, während der ENIAC der Amerikaner noch umständlich mit dem Dezimalsystem arbeitete. Auch der Colossus der Briten war ENIAC in dieser Hinsicht voraus, er benutzte ebenfalls das Binärsystem.

 

Zuses Z3 wurde 1943 bei einem Bombnangriff auf Berlin zerstört, die DLV sorgte darauf für die Finanzierung der Z4. Mit Ende des Krieges trockneten diese Aufträge natürlich aus. Zuse musste das Familieneinkommen mit dem Verkauf von selbst erstellten Holzschnitten aufbessern. 

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